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Feburar 2023, Ny-Ålesund, Norwegen

Die AWIPEV Forschungsbasis mit Isabelle Schulz

Was wir von einem der einsamsten Orte der Welt lernen können

Was können wir von einem der nördlichsten Siedlungen unserer Welt lernen, an dem, je nach Jahreszeit, zwischen 30 – 120 Menschen leben und an dem sich nur Menschen mit spezieller Einladung und Genehmigungen befinden? Auf meiner Expedition nach Spitzbergen zur AWIPEV Forschungsbasis nach Ny Ålesund hatte ich die Gelegenheit mit der promovierten Meeresbiologin Isabelle Schulz zu sprechen, die die Deutsch-Französische Forschungsstation leitet.

Isabelles Weg führte sie von ihrem Meeresbiologie-Studium in Bremen nach ihrer Promotion über einer Post-Doktoranden-Stelle an der King-Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien, von dort nach Brüssel, um im Konsortium Deutscher Meeresforschung und JPI Oceans Lobbyarbeit für die Deutsche Meeresforschung zu betreiben, bevor es sie in den hohen Norden nach Ny Ålesund führte. Ny Ålesund ist bekannt durch die Nordpol-Expedition von Roald Amundsen, Lincoln Ellsworth und Umberto Nobile im Jahre 1926 und wird seitdem als Ausgangspunkt für Expeditionen, sowie als Standort für wissenschaftliche Arbeit genutzt.

In unserem Interview erfahre ich mehr über ihre ungewöhnliche Arbeitsstelle, ihre Herausforderungen und warum ihre Erlebnisse dort eine Inspiration für alle Menschen sein können.

Hi Isabelle, wie kommt man zu einer Arbeitsstelle in der nördlichsten Siedlung Europas? Geb uns doch mal einen kurzen Einblick zu deiner Person und deiner Ausbildung

Ich habe in Bremen Meeresbiologie studiert (2005-2008) und im Anschluss am AWI promoviert (2009-2013).

Danach bin ich für 4 Jahre nach Saudi-Arabien für eine Post-doc Stelle an der King-Abdullah University of Science and Technology (KAUST) gegangen (2014-2018).

Von Januar 2019 bis Dezember 2021 nach Brüssel um für das Konsortium Deutsche Meeresforschung und JPI Oceans zu arbeiten. Dort habe ich Lobbyarbeit für die Deutsche Meeresforschung gemacht.

Mein Vertrag ging “nur” für 3 Jahre, deshalb musste ich mich dann schon frühzeitig nach neuen Job-Möglichkeiten umschauen.

Wie kommt man zu einer Arbeitsstelle in der nördlichsten Siedlung Europas?

Ich hatte immer über eine Überwinterung auf Neumeyer in der Antarktis nachgedacht, allerdings passte mein Profil nie so ganz. Dort werden eher Elektro-/Optik Ingenieure*innen gesucht. Das Jobportal vom AWI habe ich aber immer im Auge gehabt und dann die Stelle für die Überwinterung in Ny Alesund gesehen. Ich habe etwas hin und her überlegt und mich schlussendlich beworben und die Stelle bekommen. Dann hieß es ab September 2021 Koffer und Taschen in Brüssel packen und ein paar Möbel verkaufen, den Rest habe ich bei meiner Mutter in Meerbusch in der Nähe von Düsseldorf im Haus “eingelagert”.
Der Vertrag läuft über 2 Jahre und verläuft wie folgt:
Januar-April 2022 Vorbereitungszeit in Potsdam und Brest, Frankreich. Die Vorbereitungszeit umfasst u.a. ein Boot-Training, Gabelstapler-Schein, Seefahrer-Sicherheitstraining, Konflikt-Management workshop, Media-training.
Im April geht es dann nach Ny Alesund und dort wird man vom vorherigen Überwinterungsteam (3 Personen) eingearbeitet. Die Einarbeitungszeit verläuft in der Regel über 2 Monate. Danach reist das “alte” Team ab und die Verantwortung liegt im “neuen” Team.

Was macht die Arbeit und das Leben auf Spitzbergen mit einem Persönlich?

Ich reflektiere mich 24/7 – aber das ist eher meine Person, ich weiß nicht, ob jeder das so macht. Als Stationsleiterin bin ich für viele Dinge verantwortlich und muss gucken, dass alles läuft. Ich stehe oft zwischen den Stühlen und muss jedermanns Wünsche und Bedürfnisse respektieren und berücksichtigen. Das ist manchmal schwierig und klappt nicht immer. Dann denke ich oft darüber nach, ob ich eine bessere Lösung für alle hätte finden können – aber manchmal ist das nicht möglich. Ein direktes Beispiel habe ich jetzt nicht. Im Sommer kommen viele Wissenschaftler zu AWIPEV und die Arbeit für das Team (3 Personen) ist recht hoch.

Im Sommer Leben und arbeiten hier ca. 120 Personen und die Umgangssprache ist Englisch. Das Miteinander ist immer positiv, der Zusammenhalt groß und jeder unterstützt jeden – weil wir wissen, wie abgeschieden wir vom Rest der Welt leben. Allerdings kommen im Sommer auch recht viele Touristenschiffe nach Ny Alesund

– das ist weniger schön, allerdings bringen diese Schiffe auch Geldmittel ins Dorf, um die Gebäude zu renovieren und in Stand zu halten. Im entfernten Sinne unterstützen sie also auch unsere Forschung.

Im Winter sind wir knapp 40 Personen im Dorf, davon sind dann evtl. 10 Personen die kein norwegisch sprechen. Im Winter wird viel norwegisch gesprochen. Das hat es mir manchmal etwas schwer gemacht. Allerdings entschädigen die Polarlichter einen immer wieder. Bei klarem Himmel haben mich die Polarlichter immer wieder beeindruckt! Ein faszinierendes Schauspiel.

Jede Jahreszeit hat ihren Charme, den ich sehr zu schätzen weiß.

Wie sieht dein Arbeitstag in der Regel aus?

Auch auf Punkto Freizeit und Aktivitäten an „Wochenenden“, evtl. auf schlaf/wach rythmus in der polarnacht eingehen.

Ich habe einen relativ geregelten Tagesablauf. Um 8 Uhr ist Frühstück und um 8:30Uhr beginnt der Arbeitsalltag. Wobei “Alltag” etwas relativ ist hier. Dazu gehört vor allem, die Waffenausgabe für die Wissenschaftler die ins Feld gehen, Sicherheitseinweisungen geben, die Buchungen der kommenden Wissenschaftler prüfen und gucken, dass alles für sie vorbereitet ist. Media-Anfragen bearbeiten, Kommunikation mit den Wissenschaftlern aufrechterhalten. Dann muss ich auch immer das Radio (VHF) bei mir haben, damit wir innerhalb des Teams kommunizieren können aber auch, wenn Wissenschaftler im Feld sind, muss ich Kontakt mit ihnen haben können. Dies ist vor allem wichtig, falls ein Eisbär gesichtet wurde. Dann kann ich ihnen diese Info weitergeben.

An der Station haben wir viele Langzeitmessungen die vom Team betreut werden müssen. Dazu gehört zum Beispiel jeden Tag einen Wetterballon steigen zu lassen und die entsprechenden Messinstrumente im Feld zu prüfen. Die Wetterballons lassen wir seit ca. 30 Jahren steigen…und aufgrund von diesen Messungen können wir die Veränderungen in der Arktis verfolgen. Die Sonde an den Wetterballons misst die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, und Luftdruck bis zu einer Höhe von 30km.

Von Oktober-Januar ist es dunkel, man kann dann immernoch Ausflüge zu Fuss oder mit den Skiern machen, allerdings ist das nicht jedermanns Sache. Für mich beispielsweise, war das nicht so verlockend, weil es teilweise richtig dunkel war.

Da hat mein Kopf einfach viel zu viel gearbeitet und darüber nachgedacht, ob ich wohl einem Eisbären begegnen kann. Wenn Vollmond war, war das schon etwas anders, dann kann man etwas mehr “sehen”.

Von ca. Februar-April kann man am Wochenende mit den Schneemobilen, Touren machen. Ich bin mit einem Freund bis nach Pyramiden gefahren – das waren ca. 500km. Pyramiden ist eine stillgelegte russische Bergbausiedlung. Aber es gibt auch nahegelegene Hütten, die wir nutzen können. Dann kann man ganz abgeschieden von der Gemeinschaft sein Wochenende verbringen.

Entscheidet man sich am WE im Dorf zu bleiben, bietet Mellageret – die nördlichste Bar der Welt – eine Möglichkeit zum Tanzen.

Jetzt in der Sommerzeit können wir unsere Boote nutzen und beispielsweise zur gegenüberliegenden Insel (Bloomstrand) fahren und dort in einer der Hütten das WE verbringen. Ein Freund von mir hat ein größeres Motorboot auf dem man auch übernachten kann. Mit diesem sind wir bereits einmal nach Longyearbyen gefahren. Diese Aus-Zeiten von der Gemeinschaft sind gut und wichtig – man kann sich dann wieder ein wenig justieren und ist fit für die anstehende Arbeitswoche.

Erzähl mal über die lange Polarnacht und … bist du auch die ganze Zeit vor Ort?

Ja, ich war die ganze Zeit vor Ort. Meine beiden Kollegen sind für ca. 2 Wochen nach Hause gefahren (nacheinander). Ich persönlich wollte keinen Urlaub in dieser Zeit nehmen. Die Dunkelheit hat mir nichts ausgemacht. Eher der Punkt, dass sehr viel Norwegisch gesprochen wurde. Man ißt gemeinschaftlich in der Kantine und wenn man dann morgens, mittags, abends, kaum einen persönlichen Austausch hat, kann dies einen etwas betrüben.

Im Dezember wird viel von der Gemeinschaft organisiert. Wir hatten u.a. auch einen kleinen Weihnachtsmarkt. Ich habe mit einem Freund selbstgemachte Schneidebretter aus Holz verkauft. Wir hatten ca. 15 Stück und wir haben sie alle verkauft.

Wir haben hier auch eine kleine Sporthalle, das Laufband ist teilweise mein Schwimmbad-Ersatz. Ich schwimme sehr gerne und während meiner Zeit auf Spitzbergen konnte ich nicht viel schwimmen gehen. Wenn ich wieder in Deutschland bin, freue ich mich schon auf die Freibäder. Vor ca. 3 Monaten habe ich mir einen Neopren bestellt und jetzt wo es wieder hell ist, schwimme ich ab und zu im Fjord. Meine längste Strecke war 1,950 km in ca. 50 min. Mir ist weder ein Walroß oder eine Robbe begnet….vielleicht beim nächsten Mal.

Wie lange bist du in Ny-Ålesund und was planst du nach dem Kapitel „hoher Norden“?

Ich bin seit April 2022 in Ny Alesund und meine Rückkehr nach Deutschland steht noch nicht 100%-tig fest. Bis Ende Juli bleibe ich definitiv. Dann habe ich noch Vertrag bis Ende 2023 – allerdings auch noch 60 Tage Urlaub zu nehmen. Dafür habe ich noch nichts geplant – denn mein Plan ist, keinen Plan zu haben. Ich habe die letzten 15 Monate so viel organisiert und geplant….ich freue mich, wenn ich meinen Kopf einfach abschalten kann.
Was genau beruflich danach kommt, steht noch nicht fest.

Interview by JACKSCORNER, Text Hannah Clauß

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